Die Umverteiler
Neues Deutschland, 2. März 2012
Seit zehn Jahren hilft die Bewegungsstiftung, die Welt zu verbessern. Das Geld dafür hat sie von Vermögenden.
Von Ines Wallrodt
Das neue Büro im ersten Stock eines Plattenbaus ist winzig: Zwei Schreibtische, ein großer Drucker, ein Regal, dann ist es bereits voll. Die vielleicht 40 Gäste, die am Montag in Berlin zur Einweihung mit Häppchen, Saft und Sekt gekommen sind, passen unmöglich hinein und erheben deshalb in einem anderen Raum auf der Etage ihre Gläser auf Lobbycontrol und seine zwei Mitarbeiter, die von nun an das andere Team in Köln verstärken.
So unspektakulär das 12-Quadratmeter-Zimmer wirkt: Es ist ein großer Schritt für die junge Organisation, die schon mehrfach mit ihren Recherchen zur Verflechtung von Politik und Wirtschaft für Aufsehen sorgte. Politische Konsequenzen wurden zu ihrem Ärger noch nicht einmal nach der Affäre um den Bundespräsidenten gezogen. Dafür will Lobbycontrol weiter Druck machen. Mit einem Büro direkt vor Ort - nur einen Katzensprung vom Bundestag entfernt, inmitten des politischen Berlins, wo Abgeordnete, Ministerien und Lobbyverbände ihren Sitz haben, ist das einfacher.
»Wir werden die Nähe für Gespräche mit Politikern, Recherchen in der Berliner Lobbyszene, Kontakt zu Medien und für Aktionen nutzen«, sagt Ulrich Müller, einer der Gründer von Lobbycontrol. Er dankt an diesem Morgen den ehrenamtlichen Helfern, den Mitgliedern und den Stadtführerinnen, die schon seit ein paar Jahren in Berlin auf den Spuren der Lobbyisten durchs Regierungsviertel führen. Und er dankt der Bewegungsstiftung für die finanzielle Unterstützung. »Das hat diesen Start mit möglich gemacht«, sagt Müller und schaut zu einem Mann am Rande des Raums.
Den Bewegungen unter die Arme greifen
Jörg Rohwedder löst sich für einen kurzen Augenblick von der Wand, tritt einen kleinen Schritt vor, nickt lächelnd zurück, sagt aber nichts. »So ein ausdrücklicher Dank war nichts, was ich erwartet hätte«, sagt der Geschäftsführer der Bewegungsstiftung später am Tag in einem Berliner Café, wenige Schritte vom Haus der Demokratie entfernt. Aber es hat ihn trotzdem gefreut.
Die Bewegungsstiftung war die erste, die das Potenzial einer solchen Organisation gesehen und seit dem Jahr 2006 ihren Aufbau in Köln mit 64 000 Euro angeschoben hat. Für den Start in Berlin bekommen die Lobbyaufklärer nun ein zweites Mal Förderung. Perspektivisch wird Lobbycontrol unabhängig sein von Dritten. Schon drei Jahre nach der Gründung machten Mitgliedsbeiträge den größten Batzen bei den Einnahmen aus. Offenkundig hat das Projekt eine Lücke gefüllt.
An vielem, was sich hierzulande dafür einsetzt, die Welt gerechter, umweltfreundlicher, friedlicher zu machen, hat die Bewegungsstiftung einen Anteil. Die riesigen Anti-Atom-Demos nach Fukushima wären ohne ihre Ausfallbürgschaft von 150 000 Euro so kurzfristig nicht organisierbar gewesen, der Berliner Energietisch oder die Kampagne »Schulfrei für die Bundeswehr« bekommen Zuschüsse. Die Organisation »Gemeingut in BürgerInnenhand«, die Privatisierungen von öffentlichem Eigentum stoppen will, erhält drei Jahre lang eine Basisförderung und auch dem Netzwerk Flüchtlingskarawane wird finanziell unter die Arme gegriffen.
Praktische Umverteilung
Einzigartig in Deutschland ist jedoch, woher dieses Geld für alternative Projekte stammt: Es kommt von reichen Erben. Die einen haben zu wenig Geld, die anderen zu viel. Die Stiftung bringt beide Seiten zusammen und verteilt um.
Die Bewegungsstiftung sitzt in Verden an der Aller, eine kleine Provinzstadt südlich von Bremen, wo schon Attac Deutschland aus der Taufe gehoben wurde. Der gleiche Freundeskreis rund um das dortige Ökozentrum verfiel auch auf die Idee mit der Bewegungsstiftung. Einige hatten Geld geerbt und standen damit selbst vor der Frage: Was mache ich jetzt damit? Die Stiftung war die Lösung für das Dilemma. Heute vor zehn Jahren unterschrieben die ersten neun Stifter ihre Stiftungsurkunden.
Rohwedder ist von Anfang an als Geschäftsführer dabei. Zwei Tage arbeitet er in Verden, sonst von zu Hause in Lübeck aus. Er ist dankbar für seinen Teilzeitvertrag, so hat er Zeit für seine zwei Kinder. Als er von dem Konzept hörte, machte er gerade seit zwei Jahren Menschenrechtsarbeit in der Türkei. »Ich saß in der Türkei und war völlig abgenervt, dass ich kein Geld von Stiftungen bekam.« Er war sofort enthusiastisch.
Die größte Frage war anfangs: Wie findet man eigentlich die Leute, die Geld haben und noch dazu links sind? Ein einziges Mal schalteten sie eine Anzeige in einem Ärzteblatt. »Das war rausgeschmissenes Geld«, erinnert sich Rohwedder. Geholfen haben letztlich Mund-zu-Mund-Propaganda und die Medien, die sich in der Hochphase des Neoliberalismus auf das Thema »Reiche Erben, die Gutes tun« stürzten.
Gleiches Stimmrecht für die Stifter
Inzwischen sind fünf Millionen Euro beisammen, gestiftet und gespendet von 131 Menschen. Damit kann man einiges anfangen. Aber eine Massenbewegung haben sie nicht ausgelöst. Jedes Jahr werden in Deutschland fast 200 Milliarden Euro vererbt. Da relativiert sich die Summe.
Die Hälfte stiftet den Mindestbeitrag von 5000 Euro und über die Jahre noch mal so viel, ein Drittel Beträge zwischen 20 000 und 50 000 Euro, zehn Prozent über 100 000 Euro. Ein einziges Mal hat eine Person eine ganze Million gestiftet. Selbstverständlich wird das Geld nur ethisch verantwortlich angelegt. Auch das von Sinta Tamsjadi, eine der 131, die vor einigen Jahren von ihrem Vater, einem Kaufmann, ein Vermögen erbte und spenden wollte. »Es war ganz klar, dass ich einen Teil weitergeben möchte.«
Tamsjadi sitzt in einem schicken Bistro in Berlin-Mitte und strahlt das Gegenteil von dem glatten, kühlen Mobiliar aus, das sie umgibt. Sie trägt ein T-Shirt mit einem Schwan auf der Brust, sie redet lebhaft, ihr Lachen ist offen. Die fransig geschnittenen Haare geben ihrem Gesicht einen lausbübischen Ausdruck. Nach wenigen Minuten ist man beim Du. Sie wohnt nicht im trubeligen und touristischen Teil des Bezirks, sondern mehr Richtung Wedding, in der Nähe eines Friedhofs. Sie ist Schauspielerin, hat Drehbücher verfasst, Theater gemacht. Ihre Erbschaft ermöglicht es ihr, mal »nicht jeden Scheiß« machen zu müssen. Jetzt schreibt sie ein Buch über Zeit.
Auf die Stiftung stieß Tamsjadi damals durch ein Interview in einem Magazin. Zwei persönliche Treffen folgten, dann war sie entschieden. »Ich musste wissen, welche Menschen dahinter stecken. Dann folge ich meinem Bauch.« Wie viele Stifter war sie nur einmal bei dem jährlichen Treffen, wo über die Vergabe der Fördergelder entschieden wird. Danach war sie überzeugt: »Ich kann denen voll vertrauen.«
Wie viel Tamsjadi gestiftet hat, verrät sie nicht. Das bleibe in der Stiftung generell geheim, um ungünstige Dynamiken zu vermeiden. Jeder Stifter hat das gleiche Stimmrecht, ob er nun 5000 oder 500 000 Euro eingebracht hat. Tamsjadi hat ihr Geld in einem Extratopf angelegt, der für Bürgerrechte in der digitalen Welt reserviert ist. »Das wächst schneller, als wir hinterherkommen«, sagt sie. »Was weiß man denn schon wirklich darüber, was mit unseren Krankendaten passiert?« Unterbeleuchtetes wie dieses erfährt sie durch die Stiftung. Sie nennt sie deshalb einen »Filter«, der sie auf interessante Dinge aufmerksam macht.
Beratung für die Initiativen
Die Bewegungsstiftung filtert beziehungsweise wählt aus. Durch ihre Förderung werden Initiativen stärker. Ob er sich als Bewegungslenker fühle? Jörg Rohwedder weist das sanft, aber entschieden zurück: »Wir machen die Bewegung nicht. Wir geben nur das Geld.« Das sieht man beim Thema soziale Gerechtigkeit. In diesem Bereich bekomme die Stiftung nur ganz wenige Anträge auf den Tisch. Backen können sie die Aktivisten eben nicht.
Die Stiftung gibt aber nicht nur Geld, sondern auch intensive Betreuung und Beratung. Das hat nichts von politischer Einmischung. Die Stiftung erklärt den geförderten Initiativen, wie sie weitere Quellen erschließen, vor allem aber, wie man mit den begrenzten Mitteln dennoch möglichst große Wirkung erzielen kann. Für viele Projekte ist die Beratung fast genauso wichtig wie das Geld. Ob er »stolz« sei auf Erfolgsgeschichten wie Lobbycontrol? Rohwedder nimmt sich Zeit für die Antwort. Könne der Instrumentenverleiher stolz sein, dass der Gitarrenspieler so gute Musik macht, fragt er. Er selbst spricht immer von »eine Schippe drauf legen«. »Das Geld ist das Instrument, aber jemand muss es in die Hand nehmen und richtig einsetzen.«