Sinn-Stiftung
Psychologie heute 11/2005
Alt, steinreich und kinderlos – so etwa stellt man sich den klassischen Stifter vor. Weit gefehlt, sagt eine große Studie der Bertelsmann-Stiftung: Spendable Menschen entsprechen nicht diesem Klischee. Sie sind häufig jünger, viel engagierter und mitunter auch weniger wohlhabend als erwartet. Statt auf übermäßigen Konsum setzen heute viele Stifter auf Selbstverwirklichung durch gesellschaftliches Engagement.
von Anja Krumpholz-Reichel
Die Erben kommen: In den nächsten zehn Jahren werden nach vorsichtigen Schätzungen rund zwei Billionen Euro die Generation wechseln. 130 Milliarden, so schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), werden allein aus Privatvermögen jährlich steuerpflichtig vererbt. Bereits heute verfügen 6,9 Millionen Bundesbürger über ein disponibles Vermögen zwischen 50.000 und 300.000 Euro, Tendenz steigend. Auch die Stiftungsgründungen, im Jahr 2004 über 800, nehmen zu. Aktuell 12.940 Stiftungen bürgerlichen Rechts vermerkt der Bundesverband Deutscher Stiftungen.
Vermögen und Stiftung gehören seit jeher zusammen. Aus steuerlichen Gründen sicherlich, aber auch deswegen, weil Eigentum verpflichtet: Wer viel hat, der gibt der Gesellschaft zurück, was ihm diese an Chancen ermöglichte. »Mein ererbtes Vermögen machte mir lange ein schlechtes Gewissen. Es war wie ein warmer Regen, der auf mich herabgegangen ist, für den ich nichts kann, den ich mir nicht erarbeitet habe«, erklärt ein 67-jähriger Kaufmann aus dem Rheinland, der als Spross eines renommierten Konzerns seinen Namen lieber nicht verraten will. Stolz berichtet er von einer wechselvollen beruflichen Laufbahn als EU-Experte in Afrika, von den 20 Jahren, in denen sein Lebensmittelpunkt Spanien war und von seinem großen Engagement bei einer humanitären Hilfsorganisation. »Trotzdem habe ich mich oft für mein Vermögen rechtfertigen müssen. Als Sohn aus reichem Hause bin ich häufig angegriffen worden. Dabei wähle ich schon immer die Grünen, fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln und trage keine goldene Rolex.«
Mit politisch links orientierten und zugleich vermögenden Bürgern umzugehen, dafür war die deutsche Gesellschaft lange nicht reif. Dann gründete der Politologe Felix Kolb, Jahrgang 1973, im März 2002 die »Bewegungsstiftung«, eine Stiftung der etwas anderen Art: Gefördert werden Projekte, die soziale Bewegungen finanziell und ideell auf den Weg bringen und unterstützen. »Wandel statt Almosen« – nach diesem Motto fließen die Gelder der Stiftung in Vorhaben der Friedens- und Frauenbewegung, in Tier- und Naturschutz, in die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten und überall dorthin, wo gewaltfrei, ökologisch verträglich, gleichberechtigt und transparent für eine gerechte Welt gestritten wird. Schon ab einem Betrag von 500 Euro kann man sich einbringen; im Moment beläuft sich das Stiftungskapital auf rund eine Million Euro. Der 67-jährige Unternehmererbe aus dem Rheinland war begeistert: »Die Bewegungsstiftung will an der Wurzel etwas verändern und nicht nur dem armen Mann an der Ecke einen warmen Mantel geben, sondern versuchen zu erreichen, dass es gar nicht erst zur Armut kommt.« Nun verknüpft er seine Spendentätigkeit mit Zuschüssen an die Stiftung und hat dadurch schließlich auch ein wenig Frieden damit gemacht, ein Kind reicher Eltern zu sein: »Heute schätzen mich die Leute. Mein Ruf ist besser als früher.«
Etwas bewegen wollen. Verantwortung anderen Menschen und der Gesellschaft gegenüber spüren. Der Wunsch, etwas zurückzugeben. Diese Motivlage ist typisch für moderne Stifter, wie die Bertelsmann-Studie ans Licht brachte, in der 629 Personen befragt wurden. »Dass die Stifter so engagiert und aktiv und dabei so bescheiden und uneitel sind, war ein überraschendes Ergebnis«, fasst Karsten Timmer, Leiter der Stifterstudie, zusammen. Vitale Stifter sind ein geschichtliches Novum. Noch vor 100 Jahren fielen Stiftungsgründungen meist mit dem Todeszeitpunkt ihres Initiators zusammen. Sie waren sein monetäres Vermächtnis für die Nachwelt. Heute, so die Studie, werden acht von zehn Stiftungen noch zu Lebzeiten von ihren Gründern aufgebaut. Diese Menschen wollen sich nicht mit letzter Kraft ein Denkmal setzen, sondern gehen tatkräftig daran, schon in relativ jungen Jahren ihre Einflussmöglichkeiten im Hier und Jetzt wahrzunehmen: 40 Prozent der Stifter sind jünger als 60 Jahre.
Manche sind so jung wie Frank Hansen, 34, der als Beruf »Privatier« angibt, eine Bezeichnung, die ihm leicht und etwas trotzig über die Lippen kommt. Auch er ist Erbe, so wie ein Viertel der Befragten aus der Stifterstudie. Seit dem Abitur kümmert sich der gebürtige Schwabe, der heute in Berlin lebt, um diverse Immobilien und vergibt Privatdarlehen, »letztendlich ganz banale Bürotätigkeiten«. Am Herzen liegt dem Computerspezialisten allerdings ein komplexer gesellschaftlicher Prozess, dem sich seine vor kurzem unter dem Dach der Bewegungsstiftung gegründete Treuhandstiftung »bridge – Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft« widmet: »Einerseits haben wir durch die digitalen Medien viele Freiheiten gewonnen. Andererseits werden mittlerweile die Bürgerrechte weit weniger berücksichtigt als die wirtschaftlichen Interessen großer Konzerne und die Wünsche des Staates nach Kontrolle«, erklärt Hansen sein Anliegen. »Es ist mir wichtig, eine Organisation gegründet zu haben, die sich explizit dafür einsetzt, dass nicht noch mehr Bürgerrechte abgebaut werden.«
Der wichtigste Antrieb zur Gründung einer Stiftung ist ein Gefühl persönlicher Verpflichtung, etwa nach einem familiären Schicksalsschlag oder einer überstandenen schweren Krankheit. Doch warum geben die einen und die anderen nicht? Entscheidend dafür ist der Einfluss von Religiosität und Sozialisation, wie die Ergebnisse der britischen Untersuchung Why rich people give zeigen. »Ich stamme aus einer großen Familie, in der auch andere stiften, aber eher zu karitativen Zwecken«, schildert Hansen sein Umfeld. »Ich wurde so erzogen, dass man sich keine Yacht kauft.« Bescheiden ist der 34-Jährige auch sonst: Er muss nicht seinen Namen im Titel der Organisation sehen. Wie 45 Prozent der Befragten aus der Stifterstudie möchte Hansen anonym bleiben: »Der Zweck ist mir wichtiger als mein Name dahinter.«
Warum geben die einen – und die anderen nicht?
Sind alle Stifter derart selbstlos? In der öffentlichen Wahrnehmung bestehen dahingehend große Zweifel: Bei einer von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführten Telefonumfrage unter über 1000 Bundesbürgern war jeder vierte der Ansicht, dass Stiftungen ein Spielzeug der Reichen seien, 17 Prozent waren der Meinung, eine Stiftung diene nur der Selbstdarstellung, und ein Drittel mutmaßte in erster Linie Steuerspargründe hinter dem Stiftungsgedanken. Zwar spielen, wie die Stifterstudie zeigt, steuerliche Vorteile durchaus eine Rolle bei der Gründung. Doch bei den meisten Initiatoren steht die Sinn-Stiftung im Vordergrund. Für 75 Prozent der Befragten war die Schaffung einer erfüllenden, sinnvollen Aufgabe entscheidend: Das monetäre, zeitliche und emotionale Engagement, das viele der heutigen Geber einbringen, lässt die Stiftung oft zu ihrem Lebensmittelpunkt werden.
Gerade Unternehmer stürzen sich nach der Pensionierung begeistert in ein neues Lebensthema: »Diese Stiftung ist ein großer Teil Selbstverwirklichung«, erzählt ein 66-jähriger Unternehmer, der nun seine Affinität für Flora und Fauna zum Thema einer Stiftung gemacht hat. Er schätzt das schöne Gefühl, gebraucht zu werden, die Kontakte mit Menschen aus anderen Kulturen und Schichten, aber auch die hohe gesellschaftliche Anerkennung des Gebenden. Viele Stifter bekennen sich frei dazu, dass die selbstlose Förderung des Gemeinwohls persönliche Vorteile nicht ausschließt: »Ich möchte mir Gutes, aber dadurch anderen nichts Schlechtes tun«, beschreibt Frank Hansen die gesunde Mischung aus Egoismus und Altruismus. 70 Prozent der Befragten aus der Stifterstudie gaben außerdem an, dass das Engagement für das Gemeinwohl für sie persönlich befriedigender ist als Konsum. Nicht überraschend: Sind die persönlichen Wünsche an die materielle Welt umfassend befriedigt und hat der Lebensstandard eine gewisse Sättigung erreicht, dann wird der Kopf wieder frei für ideelle Werte.
Doch vom naiv-blauäugigen Gutmenschen, der sich von jedem mitleidigen Blick zum Griff ins Portemonnaie verführen lässt, ist der moderne Stifter meilenweit entfernt. Akribisch und auch etwas misstrauisch überwacht er Geldflüsse und Zuwendungen: »Wir betreiben unser Geschäft wie Profis – dieses Gutmenschentum ist oft nicht effizient und etwas, was wir nicht ertragen würden«, betont ein Architektenpaar. Moderne Geber wollen über die Verwendung der Mittel die Kontrolle behalten.»Stifter wollen sich für die Gesellschaft einsetzen, aber sie wollen selbst entscheiden, wo ihr Engagement gebraucht wird und wie sie helfen wollen«, so ein zentrales Ergebnis der Studie. Stifter geben gerne, aber nur bei großer Transparenz.
Ein Großteil moderner Stifter ist nicht so vermögend, wie gemeinhin angenommen. Gut ein Fünftel der Befragten verfügt über ein Privatvermögen von weniger als 250.000 Euro; die Stiftungsgründung als Privileg nur der reichsten Bevölkerungsschichten gehört damit der Vergangenheit an. Immer mehr Bürger geben kleinere Beträge in so genannte Bürgerstiftungen: Der Vermögensteil, den man nach reiflichem Überlegen, stabilen Rücklagen und herausgerechneten Erbansprüchen der Kinder mit ruhigem Gewissen abstoßen kann, fließt zurück in die Gesellschaft, so der Grundgedanke. Letztlich ist es diese konsumbewusste und abwägend-reflektierende Haltung, die allen Stiftern gemein ist und nicht Bildungsstand, Beruf, Herkunft, Vermögenshöhe, Geschlecht, Alter oder Kinderlosigkeit: »Der Stifter ist eben kein, wie so oft angenommen, kauziger Einzelgänger, der mit seinem Geld irgendeine abseitige Vision verwirklichen will, sondern ein Mensch mit hohem Verantwortungsbewusstsein und Realitätssinn«, fasst Timmer zusammen. »Er genießt durchaus seinen Wohlstand, solange ein von ihm selbst als vernünftig erachtetes Maß nicht überschritten wird.« »Ich wollte etwas Sinnvolles, Eigenes und Bleibendes schaffen«, bekennt ein 66-jähriger Rechtsanwalt. Nachhaltige Sinn-Stiftung im Hier und Jetzt – und ein kleines bisschen Unsterblichkeit.