Die Reichen müssen ran
Frankfurter Rundschau, 14.10.2020
Von Wiebke Johanning
Ungleicheit in Deutschland verschärft sich durch Corona.
Corona wirkt wie ein Brennglas für soziale Missstände. Was vor der Pandemie schon ungerecht war, wird nun noch ungerechter. Corona lässt das Vermögen der Dollar-Milliardäre weltweit anwachsen – auch in Deutschland. Gleichzeitig bangen Millionen Menschen um ihre Existenz. Stichwort prekäre Arbeitsverhältnisse: 20 Prozent aller abhängig Beschäftigten arbeiten in Deutschland im Niedriglohnsektor. Viele müssen ihren Lohn mit Hartz IV aufstocken. Nun trifft die Pandemie gerade die prekären Jobs: Beschäftigten in Gastronomie und Einzelhandel, Mini-Jobbern, Solo-Selbstständigen bricht das Einkommen weg.
Stichwort Mieten: Schon vor Corona haben 40 Prozent der Haushalte über ein Drittel ihres Einkommens für Miete ausgegeben. Nun sinkt dieses bei vielen durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Doch die Mieten bleiben gleich. Es drohen Kündigungen und Zwangsräumungen.
Stichwort Lohngerechtigkeit: Menschen, die in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Supermärkten und öffentlichem Dienst in der Krise lebenswichtige Infrastruktur aufrecht erhalten haben, wurden zwar enthusiastisch beklatscht. Doch mehr Lohn bekommen sie nicht. Das merken die Streikenden im öffentlichen Dienst, denen die kommunalen Arbeitgeber bisher noch nicht mal ein Angebot unterbreitet haben. Die Begründung: Die Staatskasse ist leer – auch durch Corona.
Die Lösung lautet: Statt Mittelschicht und Menschen mit niedrigem Einkommen weiter zu belasten, müssen nun die Vermögenden ran. Denn das Geld ist ja da. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung besitzen allein die oberen zehn Prozent zwei Drittel des Netto-Vermögens in Deutschland. Das sind gigantische Summen, auf die zur Zeit nur wenig bis gar keine Erbschafts- und Vermögenssteuern erhoben werden. Der Ruf nach Umverteilung kommt dabei auch von Vermögenden selbst. Über 100 Millionär*innen weltweit fordern in einem offenen Brief der „Millionaires for Humanity“ höhere Steuern für Reiche, um die Krisenkosten zu stemmen. Sie haben erkannt, dass es mehr Steuergerechtigkeit und Umverteilung braucht, auch aus eigenem Interesse. Denn Gesellschaften, in denen die Ressourcen gleichmäßiger verteilt ist, sind stabiler, glücklicher, sicherer und lebenswerter für alle.