Foto von einem Stiftungstreffen der Bewegungsstiftung
Foto von einem Stiftungstreffen der Bewegungsstiftung.

Geld für die „Revolution“

Hamburger Morgenpost vom 22. Juni 2022

Warum ich mein Geld der Revolution widme: Ive Hauswald (81) spendet sein gesamtes Geld, um Aktivisten zu finanzieren.
Dabei denkt er auch an die Bibel

Von NINA GESSNER
Ein schönes Haus im Norden Hamburgs, großer Garten, satte Pension: Ive Hauswald fehlt es an nichts. Der 81-jährige Hamburger gehört zur wohlhabenden Elite der Stadt. Doch anders als viele Reiche behält Hauswald sein Geld nicht für sich, er spart es auch nicht für seine Nachkommen. Hauswald spendet sein Vermögen an Polit-Aktivisten. An Menschen wie Cécile Lecomte.

Auf den ersten Blick haben sie nicht viel gemeinsam: Ive Hauswald und Cécile Lecomte. Er ein betagter Mann. Sie eine Frau, die halb so alt ist wie er. Er lebt in einem schönen Haus. Sie in einer WG. Er ein ruhiger, reflektierter Mann, der seine Worte bedächtig wählt. Sie eine quirlige, fordernd auftretende Frau, die durch und durch politisch ist. Ein pensionierter Lehrer, der sein Leben lang gearbeitet hat. Und eine junge Frau, die noch nie einem klassischen Beruf nachgegangen ist. Wie passt das zusammen?

Das, was Ive Hauswald und Cécile Lecomte verbindet, ist „die Sache“. Beide sind Atomkraftgegner, beide sind Klimaschützer, für beide ist Gerechtigkeit ein zentrales Leitbild ihres Wertesystems. Was Hauswald und Lecomte unterscheidet, ist das Engagement für ihre Überzeugungen. Während er lieber zu Hause bleibt, klettert sie auf die Barrikaden. Cécile Lecomte ist das Gesicht zahlreicher Protest-Aktionen in ganz Deutschland. Das „Eichhörnchen“, wie sie wegen ihrer Kletterkünste auch genannt wird, hing in den Bäumen des von der Rodung bedrohten Hambacher Forsts oder des Gählerparks in Hamburg. Sie kettet sich bei Castor-Transporten an die Gleise oder besetzt Strommasten wie zuletzt in Burgsteinfurt.

Lecomtes Job ist der Protest. In den 70er Jahren hätte man sie als Berufsrevolutionärin bezeichnet. Dabei geht es der 40-Jährigen nicht um einen Umsturz oder Volksaufstand. Die gebürtige Französin, die seit 17 Jahren in Deutschland lebt, bezeichnet ihre Arbeit als „Kunst des politischen Happenings“.
„Es ist oft schwierig, politische Botschaften in die Öffentlichkeit zu bringen“, sagt Lecomte. Deshalb suche sie auffällige Orte, um Aufmerksamkeit zu erzielen. „Man kann viel erreichen, wenn man dem Gegner Probleme bereitet.“ Das gelte vor allem für ihr neues Themenfeld den Kampf für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Eine Autoimmunerkrankung zwingt das „Eichhörnchen“ seit 2018 in den Rollstuhl. Ihre Perspektive hat sich dadurch geändert. „Es wird viel ,über‘ Menschen mit Behinderungen gesprochen, aber nicht ,mit‘ ihnen“, sagt Lecomte. Deshalb blockiert sie schon mal eine Tür der Bahn, damit ein Zug nicht einfach ohne sie abfährt, bloß weil der Hublift defekt ist. „Durch radikale Sabotage-Aktionen können wichtige Debatten ausgelöst werden“, sagt Lecomte. Anders als Ive Hauswald ist Lecomte nicht nur im Kopf radikal, sondern auch im Handeln. Sie lebt für ihreÜberzeugungen. Damit sie das ohne Ablenkung in Vollzeit tun kann, wird Lecomte finanziell von der linken Bewegungsstiftung mit Sitz in Verden an der Aller gefördert. Die Stiftung, die in diesem Monat 20 Jahre alt wird, unterstützt soziale Bewegungen und will es Aktivisten ermöglichen, sich auf ihren Kampf (gegen Rassismus, gegen Polizeigewalt, gegen Atomkraft, für Klimaschutz) zu konzentrieren.

„Ich bin nie so mutig und konsequent gewesen wie diese Menschen, die ihr Leben für den Wandel geben“, sagt Hauswald, der genau wie Cécile Lecomte bewusst keiner politischen Partei angehört. Schon die Bibel beschreibe solche Menschen, die vorbildhaft als Kämpfer für Gerechtigkeit aufträten, weiß der ehemalige Religionslehrer. Hauswald will etwas tun, um die aus seiner Sicht immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Er spendet nicht nur monatlich an die Bewegungsstiftung. Auch das Erbe ist nach seinem Todzum allergrößten Teil für die Aktivisten bestimmt. Seine Tochter wisse Bescheid, sagt Hauswald. „Sie findet das gut.“

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