Erben für alle

Süddeutsche Zeitung, 10./11.04.2021

Von Barbara Vorsamer

Unsere Autorin findet soziale Ungleichheit furchtbar – und profitiert selbst davon. Was tun? Ein paar Ideen für eine gerechtere Gesellschaft

"I hob da wos übawiesn“, brummte mein Vater ins Telefon, und das war soweit nichts Besonderes. Mein Vater ist niemand, der Geldscheine zu Schmetterlingen faltet und in einen Blumenstrauß steckt. Seine Geburtstagsgeschenke trudeln über BIC und IBAN zu mir rüber, meistens ein paar Hundert Euro, für die ich mir dann neue Schuhe kaufe oder in den Urlaub fahre. In diesem Jahr allerdings waren es 5000 Euro. Krass. Viel. Geld. So viel Geld, dass meine auf dem Kontoauszug direkt darunter stehende Gehaltsüberweisung der Süddeutschen Zeitung fast putzig aussah und ich mich fragte, ob ich, statt zu arbeiten, künftig einfach alle drei Monate Geburtstag feiern sollte.

Das war vor zehn Jahren,und mir wurde zum ersten Mal klar, dass mein Vater möglicherweise Geld übrig haben könnte. Ein weiterer Hinweis war das hingebrummte: „Wenns eich wos Eigenes kaffa woits, dann gib i eich scho wos dazu.“ Wir kauften dann kurz darauf eine Wohnung in München, und mein Vater überwies mir den dafür notwendigen Eigenanteil. Ein Betrag, der höher war als alle meine bisherigen Gehälter und Honorare zusammengerechnet.

Was macht das mit mir? Und was macht es mit unserer Gesellschaft, dass es so ist – und zwar nicht nur bei mir? Bis zu 400 Milliarden Euro werden schätzungsweise jedes Jahr in Deutschland vererbt. In Frankreich bekommen zwölf bis 15 Prozent der Erben dabei eine Summe, die höher ist als ihr eigenes Lebenseinkommen. Ökonom Timm Bönke berechnet diese Zahlen gerade für Deutschland und erwartet ähnliche Ergebnisse. Es kriegen also nicht alle was ab. Die Hälfte der Deutschen hat nichts und erbt nichts.

[...] Da haben wir es wieder: Reich? Ich doch nicht! Und falls doch, dann du auch, dann wir alle. Mit derartigen Rechtfertigungsschleifen können alle für immer im Nichts tun verharren. Die kleinen Finanzspritzen, die Teile der Nachkriegsgeneration an ihre Kinder weitergeben konnten, sind in vielen ehemaligen Mittelschichtsfamilien zu stattlichen Vermögen herangewachsen. Sie waren wie die Hefe, die einen Teig aus wirtschaftlichem Aufschwung und individuellem Fleiß zum Aufgehen brachte. Heute wird dann gleich Kuchen vererbt.

Statt den einfach aufzuessen, könnten Erbinnen und Erben mithilfe der Bewegungsstiftung etwas ganz Neues backen. 2002 gründeten Christoph Bautz und Jörg Rohwedder zusammen mit Bekannten die Stiftung mit einem Startkapital von 250000 Euro. Inzwischen haben damit fast 200 Menschen mehrere Millionen Euro in verschiedene Projekte investiert, zum Beispiel in die Seebrücke, mehr geförderten Wohnungsbau und mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern. Der Unterschied zu anderen wohltätigen Organisationen: Die Bewegungsstiftung unterstützt ausschließlich Projekte, die gesellschaftlichen Wandel voranbringen. Sie verteilt kein Brot, sondern hilft dem Teig beim Aufgehen. [...]
www.sueddeutsche.de