Foto unserer Stiftungsrätin Peggy Piesche Foto: Deborah Moses Sanks
Foto unserer Stiftungsrätin Peggy Piesche Foto: Deborah Moses Sanks

Interview mit Peggy Piesche

„Ich glaube nicht an Heldengeschichten“

Interview mit unserer Stiftungsrätin Peggy Piesche über die Kraft sozialer Bewegungen, persönliche Schlüsselerlebnisse und Fortschritte im Kampf gegen Rassismus

Du bist seit Juni 2021 Mitglied im Stiftungsrat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium der Bewegungsstiftung. Was reizt dich an dem Ehrenamt?

Peggy Piesche: „Der gemeinschaftliche Gedanke. Wir müssen inklusiver und sozialer werden und die brennenden Themen miteinander verbinden. Wir haben einfach keine Zeit mehr, nur eine Sache zu priorisieren. Da sehe ich die Stiftung als eine Plattform, die soziale und umweltpolitische Themen zusammenbringen kann.“

 

Du bist seit über 30 Jahren in der Schwarzen feministischen Bewegung aktiv. Wie können Bewegungen die wichtigen Themen vorantreiben?

„Ich glaube nicht an Heldengeschichten, sondern mehr an kollektive Veränderungen. Als aktiver Teil eines Schwarzen, queer-feministischen Kollektivs habe ich selber erlebt, was es bedeutet, wenn wir uns als Einzelpersonen vernetzen und in eine Bewegungsgeschichte einbetten. Wir fangen nie etwas neu an. Wir stehen immer auf den Schultern und der Arbeit von denen, die vor uns kamen. Deshalb ist es mir ein leidenschaftliches Anliegen, die Arbeit von Bewegungen zu unterstützen.“

 

Gab es ein Schlüsselerlebnis?

„Ja, die Umbruch-Erfahrung zur Wendezeit. Ich bin DDR-sozialisiert, 1968 geboren, war 22 zur Wende, die Zeit, um in die Welt zu starten. Ich habe damals zwei Coming-Outs durchlaufen, mein Schwarzes und mein queeres und war in der glücklichen Lage, das gemeinsam in einer Schwarzen queer-feministischen Bewegung machen zu können. Ein Privileg – weil gleichzeitig um mich herum die kollektive DDR-Identität zusammengebrochen ist. Menschen haben vieles verloren und große Unsicherheit erlebt. In dieser Zeit habe ich für mich Orientierung in einer transnationalen Bewegung gefunden.“

 

Du bist Kulturwissenschaftlerin, Aktivistin, Trainerin für Rassismuskritik und Referentin bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Was machst du dort genau?

„Ich leite den Fachbereich zu politischer Bildung und pluraler Demokratie am Standort Gera. Ich betreibe politische Bildung von einem intersektionalen Standpunkt aus. Das bedeutet zu fragen: Für wen machen wir das eigentlich? Und aus welcher Perspektive sprechen wir? Wir machen häufig unsere Arbeit aus und für die Mehrheitsgesellschaft und wundern uns dann, dass wir nicht alle erreichen. Wir wollen einen Perspektivwechsel, weg aus der ausschließlich weißen hegemonialen Perspektive. Wir arbeiten dabei mit Beratungsarbeit, Veranstaltungen, Förderungen und Publikationen.“

 

Auch wir haben einen herrschaftskritischen Prozess in der Stiftung begonnen. Was sagst du: Gute Idee! Oder: Ihr seid ja ganz schön spät dran für eine bewegungsnahe Organisation.

„Naja, es zeigt erstmal, dass wir alle verwoben sind in gesellschaftliche Machtverhältnisse. Das wollen wir nicht so gerne wahrnehmen und deshalb laufen wir Extrarunden. Es ist durchaus möglich, tolle Arbeit zu machen und trotzdem irgendwann festzustellen: Ups, wir bilden machtpolitisch ja das ab, was wir eigentlich verändern wollen. Ich finde es schön, dass die Bewegungsstiftung sich aufgemacht hat, das zu verändern. Das werden sicher keine Gipfelstürme, sondern eher die Mühen der Ebenen.“

 

Hast du als Trainerin Tipps für uns? Was kann helfen?

„Reflexionsräume schaffen, in denen auch das Emotionale Platz hat. Der Prozess geht ans Eingemachte. Da geht es um Ressourcenteilung und eigene Verstricktheit. Natürlich kann man sich rational klar machen, dass wir rassistische Konnotationen haben, weil wir in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind. Aber es fordert uns, die zu entlernen. Wir müssen strukturelle Ungleichheiten nicht nur kognitiv, sondern auch emotional durchdringen, um Dinge zu verändern.“

 

Sind wir in den letzten zwei Jahren im Kampf gegen Rassismus vorwärts gekommen?

„Nach Hanau und den Black-Lives-Matter-Protesten gab es ein Zeitfenster, wo wir eine Debatte über strukturellen Rassismus in Deutschland hatten. Das schließt sich gerade. Das ist ernüchternd, aber nicht überraschend. Die Mehrheitsgesellschaft zieht medial weiter. Corona hat uns alle viel in Beschlag genommen. Ich bin aber optimistisch. Bewegungen haben immer Rückschläge erlebt und lassen sich trotzdem nicht unterkriegen. Gerade haben wir es etwa in der Hand, wie wir aus der Pandemie herausgehen und wie wir Gerechtigkeitsfragen miteinander verbinden.“