3. Wir unterstützen Vollzeit-AktivistInnen
Sie machen politisches Engagement zu ihrem Beruf - unsere neun BewegungsarbeiterInnen. Zwei von ihnen berichten im Interview, was die Förderung für sie bedeutet.
Dorothee Häußermann (l.) und Holger Isabelle Jänicke (r.). im Gespräch. Das Interview führte Jutta Sundermann (Mitte), freie Bewegungsarbeiterin im Stiftungsnetzwerk. Foto: Bewegungsstiftung
Sie sind Vollzeit politisch aktiv - die BewegungsarbeiterInnen. Die Bewegungsstiftung unterstützt sie dabei mit einem Patenschaftsprogramm. Finanziert werden sie von einem Kreis von PatInnen, die sie sich selbst suchen. Die Stiftung sorgt für die Weiterleitung der Spenden und unterstützt bei der Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung.
Holger Isabelle, du bist seit 2002 Bewegungsarbeiter und damit der dienstälteste Aktivist im Programm der Stiftung. Was ist für dich bis heute besonders gut an diesem Modell der Bewegungsstiftung?
Holger Isabelle: Dass es große Freiheit zur Gestaltung bietet, dass ich es selber auch mit Leben fülle. Und der Austausch, den mir das Netzwerk der Bewegungsstiftung bringt.
Finanziell bedeutet es eine große Entspannung meiner Situation. Es gab Zeiten, in denen das Geld dauernd ausging und ich ständig umschulden musste. Im Moment habe ich am Ende des Monats noch Geld auf dem Konto.
Dorothee, Du bist seit 2015 Bewegungsarbeiterin. Warum hast du dich beworben?
Dorothee: Mir geht es um mehr finanzielle Unabhängigkeit, auch im kleinen Rahmen. Ich erwarte nicht, meinen kompletten Lebensunterhalt innerhalb kurzer Zeit über das Programm zu finanzieren.
Ich habe in den vergangenen Jahren erlebt, wie wichtig es mir ist, unabhängig zu arbeiten. Ich hatte Erspartes von meiner Zeit als Lehrerin, auf das ich zurückgreifen konnte, wenn meine Honorare nicht gereicht haben. Es ging lange gut, weil ich nicht viel benötigt habe. Ich habe von der Substanz gelebt, die ist jetzt weg.
Holger Isabelle: Im Grunde warst Du bisher Deine eigene Patin?
Dorothee: Ja, genau.
Bedeutet die Entscheidung für die BewegungsarbeiterInnenschaft eine Entscheidung, langfristig prekär zu leben?
Dorothee: Aber die Obergrenzen sind doch nicht prekär! In der Kombination mit zusätzlichen Einkommen sind sie recht großzügig. Im Jahr darfst du 23.000 Euro Gesamteinkommen haben.
Holger Isabelle: Das ist auch gar nicht so sehr eine Frage von Zahlen. Da treffen ein Stück weit auch verschiedene Kulturen aufeinander. Jemand, der hohe Summen auf privaten Konten hat, wird das als prekär ansehen, viele BewegungsarbeiterInnen haben damit überhaupt kein Problem. In diversen Diskussionen haben die StifterInnen gestaunt, wenn ich sagte: Ich hab, was ich brauche, das reicht so. Für mich ist das Miteinander so unterschiedlicher Menschen und Hintergründe ein großer Wert der Stiftung.
Dorothee: Ich finde, das Programm gibt einen Rahmen für eine schöne Form solidarischer Ökonomie oder finanzieller Umverteilung. Ich finde es gut, dass Leute, die viel arbeiten und verdienen, denen etwas abgeben, die viele Bewegungsprojekte voranbringen. Generell finde ich es spannend, über soziale Sicherungssysteme nachzudenken, die unabhängig von staatlichen oder Konzernstrukturen sind.
In Medienberichten entsteht manchmal der Eindruck, BewegungsarbeiterInnen könnte man für den Protest „buchen“. Wie seht ihr das: Beeinflussen die Wünsche oder die Herzensthemen eurer PatInnen das, was Ihr tut?
Holger Isabelle: Das ist im Einzelfall schon mal schwierig. Wenn ein Pate einen Prozess hat und mich um Hilfe bittet, ist es nicht so einfach, ihn ganz genauso zu behandeln, wie wenn er nicht mein Pate wäre. Vor Gericht würde sich meine Verteidigung am Ende aber überhaupt nicht unterscheiden.
Dorothee: Aber das gilt nicht nur für PatInnen, es gibt immer verschiedene Formen von Beziehungen. Ich schenke verschiedenen Menschen aus verschiedenen Gründen besondere Aufmerksamkeit. Gleichzeitig denke ich: Wo könnte ich unabhängiger sein? Hätte ich eine Stelle in einer Organisation, gäbe es Leute, die mir einen Auftrag erteilen würden. Immer wieder gibt es bei bezuschussten Projekten Auflagen und bestimmte Dinge, die nicht mehr finanziert werden.
Wie erlebt ihr die Unterstützung durch die Stiftung?
Holger Isabelle: Manchmal gab es Phasen, da führten die BewegungsarbeiterInnen eher ein Schattendasein in der Stiftung. Uns gab es halt. In anderen Phasen war das Interesse groß. Grundsätzlich ist es hilfreich, was die Stiftung mir anbietet. Aber ich nutze es nicht optimal aus. Ich bin da vielleicht manchmal ein bisschen beratungsresistent.
Dorothee: Ich bin ja noch nicht so lange Bewegungsarbeiterin, aber habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeitsarbeit, die die Stiftung für uns macht, sehr hilfreich ist. Website, Newsletter, Flyer, Visitenkarte... Vielleicht kommt dadurch ja auch der eine oder andere Pate von selbst auf mich zu, so dass ich in Zukunft so unabhängig weiterarbeiten kann wie bisher.
Das Gespräch führte Jutta Sundermann, freie Bewegungsarbeiterin im
Stiftungsnetzwerk.

Veröffentlicht am: 05.03.2017 09:59